Die Natur erobert die Stadt

Die Natur erobert die Stadt

ARTenvielfalt von der Straße ins Blaue Haus: Das Künstlerpaar Kati Kanniga und Matthias Klose-Kanniga bringt die Kunst zu den Menschen.

Von Andrea Maute

Balingen als Kreativstadt – unter diesem Motto stand nicht zuletzt der diesjährige Bürgertreff, der auf lebendige Art und Weise vor Augen führte: In der Eyachstadt schlummert viel kreatives Potenzial.

Die Vision von Bernhard Jung von „Freiraum“ und vielen anderen ist auf dem besten Wege, Wirklichkeit zu werden. Denn eine Menge des besagten Potenzials ist bereits gehoben, hat seinen Weg an die Oberfläche gefunden. Und die Quelle sprudelt sprichwörtlich weiter.

Einer der jüngsten Schätze: Das Blaue Haus am Viehmarktplatz, das sich binnen kurzer Zeit zu einem neuen Kreativ-Hotspot in Balingen entwickelt hat. Möglich gemacht haben dies Monika Jetter-Seeger und Manfred Seeger, die ihr Haus zur Verfügung gestellt und dadurch dazu beigetragen haben, dass ein sogenannter „Pop-up FREIRaum“, ein moderner Treffpunkt für Künstler aus der Region, entstehen konnte.

Ein großes Krabbeln

Aktuell präsentieren dort Kati Kanniga und Matthias Klose-Kanniga ihre Werke. Der Begriff „ARTENvielfalt“, der das in Geislingen-Binsdorf lebende Künstlerpaar kennzeichnet, es ausmacht, verrät viel über das, was die Besucherinnen und Besucher im Blauen Haus entdecken können. Während „Art“ für Kunst steht, für eine Fähigkeit zur Schaffung von Werken, die auf Wissen, Vorstellungskraft und Kreativität basieren, ist es im biologischen Kontext die kleinste Klassifizierungseinheit für Organismen. Und damit ist man im Bereich der tierischen und pflanzlichen Lebewesen angelangt.

Vor dem Blauen Haus halten die Passanten ganz automatisch inne. „Eine Ameise“, ruft ein Kind gleichermaßen begeistert wie verblüfft und deutet mit dem Finger auf das überdimensionale Insekt, das es auf dem Boden erblickt. Die Augen werden mit jedem Schritt größer, denn es ist nicht nur eine Ameise, es sind ganz viele wuselnde Tierchen, die sich dort aufhalten.

Im Gegensatz zu ihren lebendigen Vorbildern, die um ein Vielfaches kleiner sind und oftmals gar nicht wahrgenommen werden, erregen die mit Kreiden, Erdpigmenten und Zuckerwasser gemalten Exemplare viel Aufmerksamkeit. Sie lassen sich, so scheint es, auch von der Schaufensterscheibe nicht aufhalten, denn blickt man durch diese hindurch, sieht man, dass sich die Ameisenstraße im Inneren fortsetzt. „Der Weg“, wie auch der Titel des Werkes lautet, geht dort weiter.

Kati Kanniga und Matthias Klose-Kanniga haben diesen den Insekten nicht versperrt – ganz im Gegenteil. Sie haben ihnen sprichwörtlich den (beigen) Teppich ausgerollt, eine insgesamt sechs Meter lange Bahn, auf der sich ihre Insekten frei bewegen dürfen.

Damit möchten sie nicht nur darauf aufmerksam machen, dass einheimische Ameisenarten stark bedroht sind. Ganz generell wollen die als Garten- und Landschaftsbauer tätigen Künstler den Blick auf die Natur lenken, die für sie Quelle der Inspiration ist, und das Bewusstsein dafür schärfen, wie wunderbar, aber auch fragil sie ist.

Ihren Leitgedanken „Die Kunst soll zu den Menschen kommen“ nehmen sie dabei wörtlich und platzieren ihre Werke nicht selten dort, wo das Leben tobt. Auf der Straße, mitten in der Menschenmenge. Ihre Leidenschaft gilt deshalb auch der Street-Art.

Da es dem Ehepaar ein Herzensanliegen ist, Kunst und Natur schon den Kleinsten nahezubringen, haben sie in Balingen mehrere Straßenmal-Aktionen veranstaltet. Die Kinder durften dabei aus Vorlagen von Matthias Klose-Kanniga wählen und ihr Lieblingsinsekt malen. „Der Favorit ist meistens der Marienkäfer“, berichtet seine Frau, die sehr gerne künstlerisch experimentiert. Womit man beim Stichwort „Vielfalt“ angelangt ist.

Diese bezieht sich nicht nur auf Techniken und Materialien, sondern auch auf die Motive, die oft aus dem Tierreich stammen. Wer etwa einen der von Matthias Klose-Kanniga gestalteten Stromkästen in Augenschein nimmt und sich Zeit zum intensiven Betrachten lässt, kann darauf inmitten des üppigen Grüns von der neugierigen Maus bis zum grasgrünen Frosch immer mehr Tiere entdecken.

Dies gilt übrigens auch beim Blick durch die Schaufensterscheibe am Blauen Haus. Wenn die Freiraum-Fahnen vor der Türe stehen, sind die Künstler auch anwesend und freuen sich, wie sie betonen, mit den Betrachtern ins Gespräch zu kommen.

„ARTenvielfalt“ im Blauen Haus

Die Ausstellung von Kati Kanniga und Matthias Klose-Kanniga ist noch bis zum 30. April zu sehen. Mehr Informationen zu den Künstlern gibt es auf Instagram: @kanniga_artenvielfalt, mehr zum Projekt unter https://www.freiraum-balingen.de/freiraum-fuer-regionale-kunst/.